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Der transformative Akt der Vergebung – Wie loslassen Heilung bringt

Jul 6, 2024 | Allgemein

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Die Kraft der Vergebung: Ein Weg zu innerem Frieden und Gesundheit

Vergebung. Bei dem Wort denken viele von uns an Kirche und die christliche Lehre. Ich bin nicht besonders bibelfest, aber mir kam früher schnell der Gedanke von der anderen Wange, die man hinhalten soll, in den Kopf. Bis ich mich intensiver damit beschäftigt und den Nutzen erkannt habe, den praktizierte Vergebung auf meinen inneren Frieden hat.

Ich bin aufgewachsen in einer Familie, in der – zumindest bei einem Teil dieser Familie – Bitterkeit einen recht großen Raum hatte. Uralte, unschöne Geschichten wurden wiedergekäut, Jahr um Jahr. Die Ereignisse warfen noch nach Jahrzehnten ihren Schatten und beeinflussten die Gegenwart. Es hat eine Weile gedauert, bis ich aus diesem rückwärtsgerichteten Gedankenkarussell aussteigen konnte und mir bewusst geworden ist, wie sehr es mir schadet, den Ereignissen aus der Vergangenheit einen so großen Raum in meinem Leben einzuräumen.

Ich möchte dir erklären, was Vergebung ist und welch positive Auswirkungen sie auf unser Leben hat. Vorweg sei gesagt, dass Vergebung nicht heißt zu vergessen und die Täter aus der Verantwortung zu lassen. Es geht nicht um dein Gegenüber, das dir Unrecht angetan hat, sondern es geht einzig und allein um dich und deinen möglichen Seelenfrieden, wenn du es schaffst zu vergeben. Du tust es für dich!

Was ist das: Vergebung?

Wikipedia definiert Vergebung so:

„Vergebung = Verzicht einer Person, die sich als Opfer empfindet, auf den Schuldvorwurf und auf den Anspruch der Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts, ohne die erlittene Verletzung zu relativieren oder zu entschuldigen.“

Was bedeutet das im Klartext? Vergebung ist ein innerer Bewältigungsprozess, der unabhängig vom Täter ist. Das Opfer befreit sich aus der Opferrolle, was nicht bedeutet, dass die Tat vergessen oder nachträglich gutgeheißen wird! Mitnichten!

Es ist ganz wichtig, dass du das verstehst: Vergebung entlässt den Täter nicht aus seiner Verantwortung und macht die Tat nicht ungeschehen. Es geht nicht darum, den Täter zu entschuldigen und ihm einen Freibrief für sein Handeln auszustellen. Ziel ist einzig und alleine, dass du deinen inneren Frieden findest und die innere Verstrickung löst, die dich mit der Vergangenheit und dem Erlebnis verbindet und so deine Lebensenergie erheblich schmälert.

Alex Lerner sagte:

Vergebung ist eine Entscheidung, die uns von der Last der Vergangenheit befreit.“

Dem stimme ich zu. Jeder Mensch erlebt Situationen, in denen er auf die ein oder andere Art Opfer ist. Es gibt im Leben viele Ereignisse, in denen uns Unrecht geschieht oder uns gar psychische oder physische Gewalt angetan wird. Diese Ereignisse wirken wie Fußfesseln, die uns fest an die in der Vergangenheit erlebten Taten binden. Wie eine schwere Metallkugel hindern sie uns daran, frei zu sein und unser Potenzial entfalten zu können, weil wir gedanklich und emotional immer wieder um die erlebte Ungerechtigkeit kreisen. Damit machen wir uns immer wieder zum Opfer, auch wenn die Tat möglicherweise schon Jahrzehnte zurückliegt.

Ich kannte eine Frau, die bereits 15 Jahre in Rente war und immer noch wütend und verletzt davon erzählte, wie ungerecht ihr Vorgesetzter sie damals behandelt hat und welches Unrecht ihr geschehen war. Es war wirklich schäbig, was ihr widerfahren war, keine Frage. Aber sich damit 15 Jahre später noch damit zu beschäftigen und immer wieder in die alte Wut und die Enttäuschung zu verfallen, erscheint mir sehr anstrengend. Es bringt schlichtweg gar nichts, sich immer wieder damit zu befassen, denn die Vergangenheit ist vergangen und lässt sich nicht mehr ändern.

Der Psychologieprofessor Robert D. Enright stellt klar, dass „ein Unrecht immer ein Unrecht bleiben wird und die vergebende Person einen moralischen Anspruch auf die eigene Wut und die Forderung nach Respekt hat.“ Seiner Ansicht nach setzt Vergebung voraus, dass der Vergebende bewusst und freiwillig auf genau dieses Recht verzichtet. (Enright 2006)

Louise L. Hay sagte:

Indem wir vergeben, geben wir uns die Chance, unsere Herzen zu heilen und ein erfülltes Leben zu führen.“

Ich behaupte nicht, dass das einfach ist! Auf keinen Fall! Das kann ein enorm herausfordernder Prozess sein, der dich an deine eigenen Grenzen bringt. Vergebung ist kein Allheilmittel, das mal so eben zu erreichen ist. Je nach Schwere des erlittenen Leids kann es notwendig sein, dass du dich auf diesem Weg professionell und traumasensitiv begleiten lässt.

Eine schwerwiegende Verletzung kann nicht einfach mal so vergeben werden, das möchte ich hier ganz klar stellen. Vergebung kann auch nicht therapeutisch angeordnet werden. Sie kann am Ende eines therapeutischen Prozesses stehen, aber sie muss es nicht. Auch wenn ich sie aus meiner eigenen Erfahrung für sinnvoll und gut erfahren habe, ist mir durchaus bewusst, dass das nicht für jeden möglich ist.

Die gesundheitlichen Auswirkungen

Erlebtes Unrecht, Ungerechtigkeiten, Kränkungen, Gewalterfahrungen etc. hinterlassen Gefühle von Wut, Groll, Ärger oder sogar Hass und Depressionen. Verbitterung ist oft die Folge des Erlebten. Wenn wir nicht vergeben können, sind wir oft gefangen in einem Kreislauf aus schlechten Gedanken und Gefühlen, die unsere Lebensenergie einschränken. All diese Gefühle wirken sich massiv auch auf die körperliche Gesundheit aus, weil das Nervensystem permanent in einem Stresszustand ist. Stress hat ein erhöhtes Krankheitsrisiko zur Folge:

  • Hoher Blutdruck

  • Permanente Anspannung des Körpers

  • Schlechter Schlaf

  • Geschwächtes Immunsystem

  • Depressionen

  • PTED = Posttraumatic Embitterment Disorder = Posttraumatische Verbitterungsstörung

Bei dieser Störung handelt es sich um eine tiefgehende Verbitterung, verursacht durch eine große persönliche Kränkung und das Gefühl, gegen die erlebte Ungerechtigkeit oder die Demütigung nichts unternehmen zu können. Das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit löst Wut und Groll aus, kann zu Rachefantasien und sogar zu Suizidgedanken führen. Ein Krankheitsbild, das vom Neurologen Michael Linnen vor ca. 20 Jahren beschrieben wurde und durchaus ernstzunehmen ist.

Ein Bekannter von mir ist mittlerweile Mitte 60. Vor einiger Zeit saßen wir zusammen, gemütlich bei einem Glas Wein, und erzählten über das Leben an sich und unsere Erfahrungen. Wir kamen auch auf Vergebung und dieser Bekannte wurde alleine wegen der Nennung dieses Wortes richtig wütend. Seine Kindheit war nicht gerade das, was man sich unter einer schönen Kindheit vorstellt. Er beschrieb seine Mutter als narzisstisch und seine Überzeugung war, dass er diese Wut auf seine Eltern, die er im Laufe seines Lebens kultiviert hatte, unbedingt braucht, um im Leben voran zu kommen. Er könne nicht vergeben; die Wut sei sein Antrieb, meint er.

Wir haben an diesem Abend sehr intensiv diskutiert über unsere unterschiedlichen Ansätze, und konnten nicht zu einem Konsens kommen. Ich verstehe durchaus seine Gedanken, bin dennoch anderer Meinung. Ich bin der Überzeugung, dass uns sehr viel mehr Energie zur Verfügung steht, wenn wir nicht ständig in rückwärtsgerichteter Wut leben. Wie bereits gesagt, heißt das nicht, die Vergangenheit schönzureden und die Augen vor dem zu verschließen, was erlebt wurde. Vergebung bedeutet, das durchaus anzuerkennen, mich aber nicht mehr davon dominieren zu lassen.

Im Fall meines Bekannten ist die Verletzung sehr tief, und das ist absolut verständlich. In seinem Fall ist es sicher ratsam, sich dem Thema und dem damit verbundenen Schmerz mit Unterstützung zu nähern. Die Wut ist ja auch ein Schutz vor den darunter liegenden, sehr schmerzhaften Gefühlen und sich damit auseinanderzusetzen kann alleine sehr schwierig sein.

Menschen, die vergeben können, leben gesünder und zufriedener, das zeigen Studien. Ständig in Wut und Groll zu leben ist ein großer Stressfaktor für den Körper. Und Stress ist ein Hauptauslöser für viele gesundheitliche Probleme. Insofern macht es Sinn, sich mit dem Thema Vergebung zu beschäftigen und zu schauen, wo wir selbst stehen und welche Altlasten wir da mit uns herumtragen, die uns stetig vergiften.

„Vergebung bedeutet nicht, das, was geschehen ist, zu vergessen. Es bedeutet, sich zu entscheiden, den Hass loszulassen und die Heilung zuzulassen.“ – Unbekannt

Vergebung ist ein Prozess

Wie schon beschrieben, ist Vergebung kein einmaliges Fingerschnipsen, und schon ist das Problem verschwunden. Vergebung setzt die innere Bereitschaft voraus, und kann, wie ich schon geschrieben habe, ein sehr herausfordernder Prozess sein, bei dem wir uns unter Umständen professionell begleiten lassen sollten, abhängig von der Schwere des Erlebten.

Vergebung ermöglicht uns, aus dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit auszutreten und wieder in die Eigenmacht zu kommen.

Rückschritte sind in diesem Prozess völlig normal, und wechseln sich mit den Fortschritten ab. Es ist also etwas Geduld mit dir selbst gefragt. Wichtig ist, wohlwollend mit dir selbst zu sein. Du bist auf dem Weg, das alleine verdient deine Anerkennung und Wertschätzung.

Die große Frage ist:

Wie kann Vergebung gelingen?

Enright und Fitzgibbons haben ein 4-Stufen-Modell entwickelt, wie Vergebung gelingen kann.

Die vier Stufen der Vergebung

  • Stufe 1: Die Verletzung erkennen und bewusst wahrnehmen

Wir erkennen die Verletzung, Kränkung, Demütigung an und nehmen bewusst wahr, was das in uns auslöst. Wut, Trauer, Groll, Hass: Alles wird wahrgenommen und bewusst „durchfühlt“.

  • Stufe 2: Die bewusste Entscheidung treffen, vergeben zu wollen

Wir machen uns klar, welche Vorteile es hat zu vergeben und entscheiden uns ganz bewusst, diesen Weg zu gehen. Wir sind bereit, das Erlebte emotional hinter uns zu lassen. Dabei kann das Wissen helfen, welche Effekte die innere Verstrickung mit den belastenden Erlebnissen der Vergangenheit noch immer auf uns hat und wie sich das auf unsere Gesundheit und unser Leben in der Gegenwart auswirkt.

  • Stufe 3: Vergebung vollziehen

Das ist ein aktiver Prozess, der sich in unserem Inneren abspielt. Wir erlauben uns eine andere Sicht auf den Täter, der mehr ist als seine Tat. Am Beispiel der narzisstischen Mutter kann ich mir bewusst machen, dass ihr Narzissmus auch Folge ihrer Erlebnisse in der eigenen Kindheit ist. Das bedeutet nicht, dass ich ihr Handeln entschuldige! Ich akzeptiere, dass das erlebte Unrecht nicht mehr rückgängig zu machen ist, aber dass ich durch meine eigene innere Haltung eine andere Einstellung dazu entwickle. Hilfreich kann dabei auch sein, mir bewusst zu machen, ob und welche guten Eigenschaften ich dadurch erlangt habe. Ich gebe mich nicht mehr Rachefantasien hin, gehe nicht mehr in den Rückzug und kaue nicht immer wieder darauf herum.

  • Stufe 4: Akzeptanz, Loslassen und Heilung

Ich erkenne, dass es mir gut tut, die negativen Emotionen und Verhaltensweisen loszulassen, und ersetze sie durch Mitgefühl und Wohlwollen, besonders auch mir selbst gegenüber. Und ich entwickle neue Perspektiven für die Zukunft. Vielleicht erkennst du sogar einen neuen Lebenssinn, wenn du vergeben hast, und sehr wahrscheinlich wirst du dich freier fühlen. Die Veränderung geschieht schrittweise, mitunter kaum spürbar, und auf einmal stellst du fest, dass du es geschafft hast loszulassen und dich besser fühlst.

Enright selbst spricht von den vier Mauern der Gefängniszelle:

„Unversöhnlichkeit, Bitterkeit, Ressentiments und Wut sind den vier Mauern einer Gefängniszelle vergleichbar. Vergebung ist der Schlüssel, mit dem Sie die Gefängnistür öffnen, so dass Sie aus dieser Zelle heraustreten können.“

Wir können uns selbst aus dieser Gefängniszelle befreien. Wir lassen die Ohnmacht und Hilflosigkeit von damals hinter uns und gehen in die Eigen-Ermächtigung. Ich finde das sehr ermutigend. Wie geht es dir damit?

Metta-Meditation

Ich persönlich finde die sogenannte Metta-Mediation hilfreich. Sie kommt aus dem Buddhismus, was aber in der Anwendung ohne Belang ist. Der Begriff Metta wird übersetzt mit „Liebende Güte“. Sie ist sehr unterstützend auf dem Weg, negative Emotionen loszulassen.

Bei dieser Meditation arbeitest du in fünf Schritten. Ich stelle sie dir hier nur in aller Kürze vor. Ausführliche Anleitungen dazu findest du überall im Netz

Schritt 1:

Such dir einen ruhigen Ort, an dem du ungestört sein kannst. Setze dich aufrecht hin, atme in deinen Bauch ein und aus.

Zunächst schenkst du dir selbst Freundlichkeit und Wohlwollen, indem du dir beispielsweise die folgenden Sätze sagst:

  • Möge ich glücklich sein

  • Möge ich frei sein von Ärger und Wut

  • Möge es mir gut gehen

  • Ich mag mich und begegne mir mit Wohlwollen

  • Ich bin entspannt und gelassen

Das sind nur Vorschläge. Vielleicht findest du andere positive Sätze für dich, horche in dich hinein, was für dich angemessen und hilfreich ist.

Schritt 2:

Du richtest deine Wünsche an eine nahestehende Person, die du dir vorstellst. Dazu formulierst du die oben stehenden Sätze um:

  • Mögest du glücklich sein

  • Mögest du frei sein von Ärger und Wut

  • Möge es dir gut gehen

  • Mögest du dir selbst mit Wohlwollen begegnen

  • Mögest du entspannt und gelassen sein

Schritt 3:

Du stellst dir eine neutrale Person vor, zu der du kein besonderes Verhältnis hast, und bringst dieser mit den obigen Sätzen Wohlwollen und Freundlichkeit entgegen.

Schritt 4:

Jetzt wird es etwas herausfordernder, denn in diesem Schritt stellst du dir die Person vor, die du nicht magst, bzw. die dir das Unrecht angetan hat. Schenke ihr ebenfalls deine Freundlichkeit und dein Wohlwollen.

Schritt 5:

Du schließt alle Personen ein und lässt deine liebevollen Gedanken und Gefühle über alle Personen fließen.

Probiere es aus, aber erwarte nicht gleich ein Wunder. Sei nicht ungeduldig, denn wie fast alles im Leben ist auch das Übungssache. Wohlwollen dir selbst gegenüber ist das Stichwort.

Fazit

In der Vergebung liegt eine große Kraft, die unser Leben zufriedener und schöner machen kann und heilsame Effekte auf unsere Gesundheit hat. Vergebung ist ein aktiver Prozess, zu dem du dich bewusst entschließen muss, und geschieht wohl in den seltensten Fällen über Nacht. Aber es lohnt sich, so ist meine Erfahrung.

Wenn die Verwundungen tief sind, lasse dich bitte professionell unterstützen. Es ist wichtig, dass du stabil bist und nötigenfalls co-reguliert wirst, indem dich jemand durch den herausfordernden Prozess begleitet.

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